Wir verstehen Eure Fragen. Wir verstehen auch, wenn Ihr Euch unsicher fühlt. In der Tat geht die Entwicklung in Schweden sehr schnell. Wer vielleicht einige Jahre lang nicht mehr in Schweden war, wird bei einem Besuch feststellen, dass sich viel geändert hat. Immer mehr Schilder an Geschäften, Hotels, Arztpraxen, Ticket-Schaltern, Museen, Tankstellen, Cafés und sogar Campingplätzen sagen deutlich, dass nur noch Kartenzahlung akzeptiert wird. “Kontantfri” ist das ensprechende schwedische Wort. Es bedeutet “bargeldlos”. Was heißt das für Euch im Urlaub?
Auch Kleinbeträge mit Karte
In Schweden zahlt man nahezu alles mit Karte, auch Kleinbeträge von 5 oder 10 Kronen. Da guckt keiner komisch.
Kontaktlos ohne PIN zahlen
Beträge unter einem bestimmten Betrag, der meist bei 200 bis 500 SEK liegt, können an moderneren Terminals ohne PIN gezahlt werden. Dafür hält man die Karte einfach an den Kartenleser, entweder oben drauf oder links an die Seite. „Blippen“ nennt man das auf schwedisch. Bei höheren Beträgen muss man dann die PIN eingeben. Die Unterschrift funktioniert nicht mehr als Alternative.
Diners Club und American Express
Visa und Mastercard werden immer akzeptiert. Das gilt nicht für Diners Club und American Express. Wenn Ihr diese Karten habt, solltet Ihr in jedem Fall eine andere Karte dabei haben.
Unsere Empfehlung: Mindestens zwei Karten mitnehmen
Es ist ratsam, dass Ihr immer mindestens zwei Karten dabei habt. Dann seid Ihr auf der sicheren Seite, falls eine Karte wegen Missbrauch gesperrt und ausgetauscht werden muss. Der Prozess ist zwar schmerzlos, aber man steht erst einmal einige Tage ohne die gesperrte Karte da. Neben der Kreditkarte sind also ein oder zwei Debitkarten sinnvoll.
Achtet auch darauf, dass die Karten für Skandinavien freigeschaltet sind. Früher war das nicht selbstverständlich. Mag sein, dass sich das mittlerweile geändert hat.
Was aktuell für die auslaufende Girocard (EC-Karte mit Maestro-Logo) gilt, kann ich aus Schweden schlecht beurteilen. Jede Bank in Deutschland hat wohl einen eigenen Terminplan für den Kartenaustausch. Sprecht also mit Eurer Bank.
Unterschiedliche Kassen in Geschäften
Falls Ihr in einem Lebensmittelgeschäft trotzdem mit Bargeld bezahlen wollt, müsst Ihr sehen, ob das an der entsprechenden Kasse geht. Es gibt Kassen, die nur noch Kartenzahlung akzeptieren. “Endast kort” oder „Kortkassa“ steht dann meist über der Kasse, “Nur Karte”. Schaut also, dass Ihr Euch richtig anstellt.
Gleiches gilt auch in den IKEA Warenhäusern. IKEA testet allerdings auch schon komplett “kontantfri” – in Gävle wird kein Bargeld mehr angenommen.
Bargeld für Flohmärkte und Veranstaltungen
Private Flohmärkte, kleine Händler auf dem Markt und Cafés in Heimatmuseen oder auf Veranstaltungen wohltätiger/ideeller Vereine verfügen oft nicht über Kartenleser. Als Tourist braucht man hier noch Bargeld, gern in Münzen und kleinen Scheinen. Die Schweden zahlen auch hier oft bargeldlos, allerdings nicht mit Karte.
Wir haben nämlich in Schweden ein System, das mit dem Telefon funktioniert und sehr weit verbreitet ist. Das mobile Bezahlsystem heißt Swish und setzt ein schwedisches Bankkonto mit einer schwedischen digitalen Signatur voraus (BankID). Für Euch bleibt nur die Zahlung mit Bargeld. Ich hoffe, dass in solchen Situationen noch lange Bargeld akzeptiert wird. Wie sonst sollten Touristen noch zahlen können, wenn die Kreditkarte ausscheidet?
Swish ist allerdings eine Kooperation mit ähnlichen Bezahllösungen in Europa eingegangen. Aus Deutschland und Österreich ist die Firma Bluecode mit dabei. Es kann also sein, dass Ihr irgendwann auch mit dem Telefon in Schweden bezahlen könnt.
Bargeldautomaten werden Mangelware
Weil immer weniger Bargeld im Umlauf ist, wird auch überall die Zahl der Bargeldautomaten verringert. Ihr findet sie aber noch in Einkaufszentren, in Innenstädten, an Bahnhöfen und auf Flughäfen.
Wechselstuben
Banken haben schon lange kein Bargeld mehr. Wenn Ihr Bargeld tauschen wollt, müsst Ihr zu Wechselstuben gehen. Forex ist eine seriöse Kette, die es in manchen Großstädten und auf Flughäfen gibt.
Bargeld kann ungültig werden
Holt Euch aber nur so viel schwedisches Bargeld, wie Ihr aktuell brauchen werdet, und rechnet allenfalls ein kleines Sicherheitspolster hinzu. Nehmt nicht viel Bargeld mit zurück nach Hause. Wenn Ihr nur selten nach Schweden kommt, könnte das Geld beim nächsten Besuch ungültig sein.
Als ich einmal in Blekinge in einer Bäckerei war, hielt eine deutsche Urlauberin den Laden auf, weil sie für exakt 100 Kronen einkaufen wollte. Als dann die geduldige Bäckerin hinter der Theke nach mehrfachem Hin- und Herrechnen alle Brötchen und Teilchen eingetütet hatte, wollte die Kundin auch noch mit einem alten, ungültigen 100-Kronen-Schein bezahlen. Was nun? Mit Karte zahlen konnte sie angeblich nicht. Also mussten alle Brötchen und Teilchen wieder zurück. Irgendwie war die Situation peinlich für alle.
Legt Euch also zuhause keinen großen Vorrat an schwedischen Münzen und Scheinen an.
Hintergrund
Dass die Entwicklung in Schweden so schnell verläuft, liegt wohl daran, dass sie von so vielen unterschiedlichen Parteien gleichzeitig vorangetrieben wird:
- Der Staat, insbesondere das Finanzamt, freut sich, dass mit dem Verschwinden des Bargelds Schwarzgeldzahlungen eingedämmt werden.
- Der Handel ist froh über weniger Überfälle, geringere Kosten für Bargeldtransport und über schnellere Abrechnungen am Tagesende (oft müssen Kassen nicht mehr manuell nachgezählt werden). Bei uns im Ort wirft die 16-jährige Bäckerstochter oft den Laden allein. Das geht nur, weil sie kein Bargeld in der Kasse hat.
- Die Gewerkschaften sind glücklich darüber, dass sich ihre Mitglieder an Arbeitsplätzen im Handel sicherer fühlen dürfen.
- Hotels lassen sich gern im Rahmen der Safehotels-Allianz zertifizieren. Dazu gehört der Verzicht auf Bargeld. Den meisten Hotels fällt das nicht schwer, weil der Bargeldumsatz teilweise nur noch bei 3% gelegen hat.
- Die Banken können ungestört arbeiten. In Schweden gibt es keine gesprengten Bargeldautomaten und keine Überfälle auf Banken.
- Und auch die Verbraucher stehen den Veränderungen positiv gegenüber.
- Kein Bargeld beult mehr die Hosen aus.
- Wenn die Kinder unterwegs sind und Geld brauchen, schickt man es ihnen einfach per Swish aufs Telefon. (Viele schwedische Kinder lernen auch schon früh mit Karte umzugehen – ab 11 Jahren.)
- Die unbehaglichen Momente abends in der Kneipe, wenn man keine Scheine im Portemonnaie hatte und seine Kumpels um Bargeld anpumpen musste, sind auch vorbei.
- In Cafés, Bäckereien und Hamburger-Restaurants hantiert das Personal nur noch Essen und nicht mehr zwischendurch auch Bargeld. Bessere Lebensmittelhygiene!
- Und nicht zuletzt: Die Schweden lieben technische Vereinfachungen.
Ausblick
Wenn wir in Schweden das Bargeld abgeschafft haben, soll der nächste Schritt kommen. Dann soll die Brieftasche abgeschafft werden. Swish hat sich nämlich zu einem gewaltigen Konkurrenten der Kreditkartenunternehmen entwickelt und will die Kreditkarten überflüssig machen. Wenn dann gleichzeitig unsere Ausweise ins Telefon wandern, werden wir keine Brieftasche mehr brauchen.
Kritische Stimmen
Natürlich gibt es auch in Schweden Menschen, denen die rasante Entwicklung nicht geheuer ist. Bei der Kritik geht es aber kaum um Themen wie Datenschutz oder Überwachungsstaat – Themen, die ja in Deutschland in diesem Zusammenhang immer eine große Rolle spielen.
Hier in Schweden kommt die Kritik vor allem von alten Menschen. Die meisten können zwar passabel mit dem Mobiltelefon umgehen, aber sie haben nicht immer neue Modelle. Die digitale Signatur BankID ist aber eine App, die aus Sicherheitsgründen ständig weiterentwickelt wird. Bei einem der letzten großen Updates wurde die Latte höher gelegt und eine neue Android-Version vorausgesetzt. Plötzlich saßen viele Rentner mit ihren fünf Jahre alten Mobiltelefonen und konnten keine Bankgeschäfte mehr signieren und keine Swish-Zahlungen mehr vornehmen. Wie das künftig gelöst werden soll, weiß ich nicht.
Kritik kommt auch von Katastrophenschützern. Wenn wir uns komplett von Bargeld freimachen, dann haben wir keine Rückfallebene mehr. Bei dauerhaftem Ausfall von IT-Infrastruktur oder Strom müsste der Handel eingestellt werden. Für solche Krisen fordern Katastrophenschützer einen “Plan B”. Wie der aussehen soll, ist bislang nicht klar.
Kein Bargeld an dieser Kasse – in einer Filiale der Supermarktkette Willys