Start Estland Auf Entdeckungstour in Tallinn: Die schönsten Orte der estnischen Hauptstadt

Auf Entdeckungstour in Tallinn: Die schönsten Orte der estnischen Hauptstadt

Tallinn

An einem herrlichen Juli-Tag habe ich die Fähre von Helsinki nach Tallinn genommen und mich in Estlands Hauptstadt sechs Stunden lang umgesehen. Ich war beeindruckt von der Schönheit der restaurierten mittelalterlichen Altstadt. So viele Einflüsse! Dänische, deutsche, schwedische und russische. 25 km bin ich kreuz und quer durch die Stadt gelaufen. Heiß war es an dem Tag. Die Strandterrassen hatten geöffnet, und die Häfen waren voller Boote, Fähren und Kreuzfahrtschiffe. Trotz vieler Menschen herrschte in der Stadt eine angenehm entspannte Sommerstimmung.

Tallinn ist nicht nur die Hauptstadt von Estland. Mit über 450.000 Einwohnern ist Tallinn auch die größte Stadt des Landes. Dennoch ist die Stadt so kompakt, dass man in kurzer Zeit alle wichtigen Sehenswürdigkeiten zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann.

Kadriorg

Als ich mit der Fähre aus Helsinki in Tallinn ankam, bin ich nicht den Touristenströmen in die Innenstadt gefolgt. Mein erstes Ziel des Tages war vielmehr der Kadriorg-Park. Er liegt im Stadtteil Kadriorg und damit etwas außerhalb des Zentrums, in östliche Richtung. Der Kadriorg-Park ist mit 70 Hektar der größte Park in Tallinn und gilt als einer der schönsten Parks der Stadt.

Das Highlight des Viertels ist natürlich Schloss Kadriorg, das von Peter dem Großen für seine Frau gebaut wurde. Das Schloss stammt aus dem 18. Jahrhundert, ist im russischen Barockstil erbaut und von innen wie außen absolut prächtig. Die Farbgebung der Fassaden ist bunt und der gepflegte Schlosspark mit seiner Blumenpracht ein Fest für die Augen.

Der Kadriorg-Park beherbergt auch Estlands größtes Museum für zeitgenössische Kunst, das KUMU Art Museum. Als es 2006 seine Pforten öffnete, wurde das Museum zu einem der besten Museen für zeitgenössische Kunst in Europa gewählt. Das Museum erstreckt sich über vier Stockwerke und beherbergt eine umfangreiche Sammlung estnischer Kunst vom 18. Jahrhundert bis heute.

Das Museum wurde buchstäblich in den Kalksteinfelsen gehauen. Es hat Kanten und Kurven. Geht zumindest einmal in das Foyer hinein und richtet den Blick nach oben. Wenn Euch die Atmosphäre und die Architektur gefallen, könnt Ihr hier verweilen und ins Museumscafé gehen.

Altstadt

Die Altstadt von Tallinn ist eine der am besten erhaltenen mittelalterlichen Städte in Europa. Wenn man durch die Gassen der Altstadt oder über den Rathausplatz spaziert, fühlt man sich ein wenig wie in einem Filmset (siehe Bild oben auf dieser Seite). Aber die hübschen Häuser sind keine Kulissen. Hier lebten die Kaufleute des 14. Jahrhunderts. Die meisten dieser Häuser wurden seit dem EU-Beitritt restauriert. Die Altstadt zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Das Rathaus auf dem Rathausplatz stammt aus dem frühen 14. Jahrhundert. 2022 feierte man sein 700-jähriges Bestehen. Damit ist es das älteste Rathaus Nordeuropas.

Überdies gibt es 46 Wehrtürme, die fast alle mit der Stadtmauer verbunden sind. Wenn Ihr einen besteigen wollt, geht in das Festungsmuseum Kiek in de Kök. Ihr bekommt dort auch großartige Ausblicke auf den Garten des dänischen Königs. An diesem Ort soll 1219 die dänische Flagge („Dannebrog“) entstanden sein. Der Legende nach fiel sie während einer Schlacht vom Himmel.

Einer der 46 Wehrtürme gehörte offenbar einem meiner Vorfahren. Wie ich erfreut entdeckte, gibt es nämlich einen Plate-Turm. Er wurde in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts erbaut und ist nach einem Herbord Plate benannt. Also „Plate“, nicht „Plette“ (wie ich), aber damals war man mit der Schreibung von Namen nicht so genau. Mal schrieb man sie so, mal so. Vielleicht war es ja doch ein Plette 🙂

In der Altstadt gibt es mehrere Aussichtsplattformen. Mir gefiel besonders die Kohtuotsa Aussichtsplattform (Lage bei Google Maps). Von ihr aus hat man einen herrlichen Blick auf die roten Dächer der Häuser, den spitzen Turm der Olaikirche, das Geschäftsviertel von Tallinn und den Hafen im Hintergrund. Schön fand ich auch die Patkuli Aussichtsplattform (Lage bei Google Maps), von der steile Treppen an der Stadtmauer entlang hinunter in die Unterstadt führen.

Die Olaikirche (auch: „Sankt Olavs Kirche“) ist über 123 Meter hoch. Zwischen 1549 und 1625 soll sie das höchste Gebäude der Welt gewesen sein. Nachteil der besonderen Höhe war, dass der Turm Blitze anzog. Das führte dazu, dass das Gebäude mehrfach abbrannte. Heute hat die Kirche eine kleine, aber spektakuläre 360-Grad-Aussichtsplattform im Turm. Dafür muss man 258 Stufen über eine steile Wendeltreppe hochsteigen. Das ist wohl nur etwas für Schwindelfreie. Leider hatte ich weder Zeit noch Mut dafür.

Telliskivi

Telliskivi ist ein trendiges Viertel mit Restaurants, Handwerksbrauereien, Cocktailbars und kleinen Bistros. Der neue Stadtteil ist das komplette Gegenteil der mittelalterlichen Altstadt. Telliskivi ist hipp, ausgefallen und sehr kreativ. Ihr werdet viel Street Art bemerken.

Herzstück des Viertels ist das Fotografiska, das Ihr vielleicht aus Stockholm kennt. Es wurde hier im Juni 2019 eröffnet. Im Inneren findet man ein Café im Scandi-Stil, eine Cocktailbar, einen Souvenirladen und natürlich die Ausstellungsräume mit vielen großformatigen Fotos.

Kalamaja und Noblessner

Den Abschluss meines Tallinn-Besuchs bildete ein strammer Spaziergang durch den Stadtteil Kalamaja hinaus nach Westen zum modernen Viertel Noblessner.

Auf halbem Weg nach Noblessner kam ich am Tallinner Wasserflugzeughafen vorbei. Estnisch heißt das Museum Lennusadam, aber zumeist wird der englische Name benutzt: Seaplane Harbour Museum. Das moderne maritime und militärische Museum ist in drei mächtigen Hangars untergebracht, die 8.000 Quadratmeter groß sind. Das Museum befindet sich direkt am Meer und hat über 200 verschiedene Ausstellungsstücke. Ihr könnt in ein echtes U-Boot einsteigen und Euch anschauen, wie das Leben auf einem Eisbrecher vor hundert Jahren aussah.

Am Ende meines Spaziergangs gelangte ich zum Yachthafen von Noblessner. Noblessner war früher eine U-Boot-Werft, aber heute befindet sich hier eines der trendigsten und am schnellsten wachsenden Viertel Tallinns. Es gibt Museen, Restaurants und viele Boote. Hier hat man kaum noch das Gefühl, in der Stadt zu sein.

Tallinn hat sich in den letzten Jahren zu einem kulinarischen Schmelztiegel mit abwechslungsreichen Lokalen entwickelt. Noblessner ist wahrscheinlich einer der besten Orte, um das bei einem Abendessen zu erleben. Es gibt eine richtige „Restaurant-Meile“ am Wasser. Die Auswahl ist groß, zum Beispiel im Lore Bistro mit seiner postmodernen Einrichtung. Von den Außenterrassen habt Ihr einen herrlichen Blick auf den Sonnenuntergang über der Tallinner Bucht. Leider konnte ich das selbst nicht mehr erleben, denn ich musste mich sputen, pünktlich zur Fähre zurückzukehren.

Auf dem Rückweg habe ich aber noch einige Blicke auf einen brutalen Betonbau geworfen. Er ist sowjetischen Ursprungs. Tallinn war nämlich Austragungsort der Segelwettbewerbe der Olympischen Sommerspiele 1980. Im Zusammenhang damit wurde in der Nähe der Fähranleger eine Mehrzweckhalle für 5.000 Zuschauer gebaut: Linnahall (Lage bei Google Maps). Bei meinem Besuch war das Gebäude voller Graffiti, zugewachsen und abgesperrt. Ich nehme an, dass die Halle bald abgerissen wird. Ihr werdet sicherlich noch andere Relikte aus der Sowjetzeit entdecken, auch wenn sie immer weniger werden.

Fazit

Tallinn ist eine vielschichtige und spannende Stadt mit lockerer Atmosphäre. Die dänischen, deutschen, schwedischen und russischen Einflüsse sind fast überall im Stadtbild sichtbar. Wer die Augen aufmacht, wird viel entdecken.

Am Ende des Tages war ich zwar körperlich geschafft, aber auch sehr glücklich über meine schönen Erlebnisse. Ich komme gerne zurück nach Tallinn. Dann aber werde ich mir mehr Zeit lassen.


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Tallinn

Kohtuotsa Aussichtsplattform

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Gassen in der Altstadt

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Oben links: Markt am Viru-Tor. Unten links: Restaurant „Peppersack“ und das Packhaus mit dem Restaurant „Olde Hansa“.

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Wehrtürme und in der Mitte die Nikolaikirche

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Alexander-Newski-Kathedrale

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Schloss Kadriorg

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KUMU Kunstmuseum

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Unten: Restaurants in Noblessner

Highlights

  • Kadriorg-Park: Barockpark mit Schloss, Kunstmuseum und japanischem Garten.
  • Toompea (der Domberg): Oberstadt mit Alexander-Newski-Kathedrale, Toompea-Burg und einem atemberaubenden Blick auf die Stadt.
  • Altstadt: UNESCO-Weltkulturerbe mit mittelalterlichem Charme, Kopfsteinpflaster und bunten Häusern.
  • Rathausplatz: Herz der Altstadt mit gotischem Rathaus und der berühmten Ratsapotheke.
  • Kiek in de Kök: Bastion und Museum mit Kanonenturm und unterirdischen Gängen.
  • Olaikirche: Zweithöchstes Gebäude der Stadt mit Aussichtsplattform und gotischem Interieur. Höher ist nur der Fernsehturm.
  • Telliskivi: Kreatives Zentrum mit alten Fabriken, umgewandelt in Künstlerateliers, Galerien, Cafés und Bars. Fotografiska.
  • Kalamaja/Noblessner: Hippes Viertel mit Cafés, Restaurants, Kunsthandwerksläden und kreativer Atmosphäre. Seaplane Harbour Museum.

Tipp: Die Tallinn Card bietet kostenlosen Eintritt zu vielen Sehenswürdigkeiten und ermöglicht die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel.

Tallinn City Card

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Wechselvolle Geschichte

Tallinn war eigentlich nie estnisch. Hier haben fast immer ausländische Mächte regiert. Nahezu durchgehend von 1219 bis 1991. Erst die Dänen und die Deutschen (Hanse seit 1284, Deutscher Orden seit 1346), dann die Schweden (1461 bis 1710). Danach übernahmen die Russen zweihundert Jahre lang bis 1918, und dann noch einmal unter sowjetischen Vorzeichen von 1940 bis 1991. Eine kurze Phase der estnischen Unabhängigkeit gab es nur von 1918 bis 1940.

Während des größten Teils seiner Geschichte hieß Tallinn anders. Man benutzte nämlich den deutschen Namen der Stadt: Reval. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass das Deutsche hier nicht so sehr als etwas Fremdes angesehen wurde, sondern vielmehr ein echter Teil der Stadt war. Denn auch unter der schwedischen und russischen (zarischen) Herrschaft (jedenfalls in den ersten Jahren bis 1783) hat sich die Stadt bemüht, ihr Lübisches Recht zu behalten.

Unter der anderthalb Jahrhunderte währenden schwedischen Herrschaft hielt die Stadt sogar am Deutschen als Amtssprache fest. Noch 1910 wurde ein neues Gebäude für das Deutsche Theater eingeweiht. Heute ist dort das Estnische Dramatheater zu Hause. Deutsche Besetzungen am Ende des Ersten Weltkriegs (knapp ein Jahr) und am Ende des Zweiten Weltkriegs (drei Jahre) haben das positive Bild sicherlich beeinträchtigt.

Im September 1988 sangen 300.000 Menschen friedlich auf Tallinns Festivalgelände und leiteten damit die „singende Revolution“ ein. Sie gipfelte am 20. August 1991 in der Unabhängigkeit von der Sowjetunion.

Danach katapultierte sich Estland mit Raketengeschwindigkeit in die Neuzeit. Heute ist das kleine Land mit seinen 1,4 Millionen Einwohnern eines der modernsten Länder Europas. Es ist Mitglied der EU, der Nato und des Schengener Übereinkommens und hat den Euro als Zahlungsmittel. In der Digitalisierung ist es sehr weit fortgeschritten und hängt dabei sogar Schweden ab. Das Geschäftsviertel von Tallinn mit seinen vielen Hochhäusern bezeugt den rasanten Aufschwung.

Tallinn und Helsinki werden künftig immer enger zusammenarbeiten und eine gemeinsame Bildungs-, Forschungs- und Wirtschaftszone bilden. Vorbild dafür dürfte die Øresund-Region mit Kopenhagen und Malmö sein. Ein 15-Milliarden-Euro-Projekt ist daher in Planung: Der längste Unterwasser-Eisenbahntunnel der Welt soll Helsinki und Tallinn noch näher zusammenbinden. Der Tunnel ist Teil des Rail-Baltica-Projekts, dessen Ziel eine Zugverbindung von Berlin nach Helsinki ist (über Warschau, Riga und Kaunas).