Als ich heute mit dem Auto nach Hause fuhr, sah ich eine alte Frau und einen alten Mann am Straßenrand. Ich kenne sie. Sie leben zusammen in einem eigenen Haus in der Nachbarschaft. Das Paar ist wohl um die achtzig. Sie ist körperlich behindert, hat schwere MS und kann kaum noch gehen. Dennoch drehen sie jeden Tag tapfer ihre Runden. Sie benutzt dafür einen Rollator.
Als ich heute mit dem Auto nach Hause fuhr, stand der Rollator mitten auf der Straße. Die Frau saß tief im Straßengraben. Ihr Mann stand vor ihr. Was war passiert?
War überhaupt etwas passiert? Warum saß die Frau im Straßengraben? War sie gestürzt? Hatte sie einen Schwächeanfall?
Ich hielt an.
„Ist alles in Ordnung?“ fragte ich. Ja, ja, alles sei okay, hörte ich. Erst jetzt sah ich, dass die Frau zwar im Straßengraben saß, aber eine Katze auf dem Schoß hatte und sie streichelte. Also war die Frau wohl doch nicht gefallen. Ich fuhr erleichtert weiter.
Ein Fettnäpfchen
Dann wurde mir klar, dass ich mal wieder in ein Fettnäpfchen getreten war. Ich hatte mich falsch, „unschwedisch“ verhalten.
Viele Schweden wären an der Szene einfach vorbeigefahren. Denn ein Schwede weiß: Solange in Schweden ein alter Mensch nicht ausdrücklich um Hilfe bittet, soll man keine Hilfe anbieten. Andernfalls gibt man dem alten Menschen zu verstehen, dass er sein Leben nicht mehr schafft, und kränkt ihn damit.
So denken jedenfalls viele Schweden.
Dass ich anders denke, hängt wohl mit meiner kontinentalen Erziehung zusammen. Sie sitzt noch immer tief.
Bild: Invacare