Prüderie in Schweden – Was ist mit der schwedischen natürlichen Nacktheit geschehen?

Schweden war einmal ein Land, in dem Nacktheit als natürlich und normal galt. Das zeigte sich schon früh in den fünfziger Jahren, in den ersten Filmen von Ingmar Bergman. „Der Sommer mit Monika“ (1952/53) machte die „schwedische Sünde“ in aller Welt bekannt. Dank einer unschuldigen Nacktbade-Szene.

Lockere Freizügigkeit der Siebziger

Als ich Schweden kennenlernte, noch als Schüler Anfang der siebziger Jahre, war ich verblüfft und verzaubert von einer lockeren Freizügigkeit, die ich so aus (West-)Deutschland nicht kannte. Was ich sah, war sicherlich ein Sommer-Schweden, ein Ferien-Schweden.

Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre konnte man an den Strand gehen und völlig natürliche und völlig selbstbewusste Nacktheit sehen, auch von jungen und in dem Alter sonst eher verschämten Mädchen. So auch im schwedischen Film. Da gab es Dinge, die heute völlig undenkbar sind.

In den siebziger Jahren gab es kaum einen Schweden-Bildband ohne einige idyllische Fotos von nackt badenden Sommerurlaubern. Hatte man keine Badesachen dabei, dann ging man eben nackt baden. Ich habe das mit meinen Freundinnen im Urlaub auch so gemacht. So war das vor dreißig, vierzig Jahren.

Heute geht das nicht mehr. Erwachsene Männer legen sich am Strand ein „Röckchen“ um, wenn sie die Badehose wechseln. Kleinkinder bekommen im Kindergarten eine Unter- oder Badehose angezogen, wenn sie im Sommer mit Wasser aus dem Gartenschlauch abgekühlt werden. Und Mädchen ziehen beim Höschen-Wechseln nach dem Sport zwei Höschen übereinander und dann das untere davon Bein für Bein aus – ja, das geht, man nennt es den Höschentrick („trostrick“ auf schwedisch).

Das Verschwinden der natürlichen Nacktheit

Die schwedische Gesellschaft ist genauso „sexualisiert“ wie viele andere europäische Gesellschaften. Und dennoch, oder gerade deswegen, scheint Schweden sein natürliches Verhältnis zur Nacktheit verloren zu haben. Über die weiteren Gründe für diese Entwicklung kann man nur spekulieren. Sicherlich spielen Aids und Einwanderung dabei eine sehr große Rolle, aber auch die Allgegenwart der Smartphone-Kameras.

Leserbrief eines Schweden: „Was ist mit der schwedischen natürlichen Nacktheit geschehen?“

„Als regelmäßiger Badegast im Schwimmbad von Västertorp störe ich mich daran, dass man immer weniger Nacktheit im Duschraum und in der Sauna sieht. Immer mehr Badegäste, vor allem jüngere Frauen, waschen sich, ohne ihre Badebekleidung auszuziehen. Auch in der Sauna behalten sie die Badebekleidung an.

Wo sind die Schilder geblieben, die Badegäste darauf hinweisen, dass man unter der Dusche und in der Sauna keine Badebekleidung anhaben darf? Ich finde es unhygienisch, dass man sich wäscht, ohne sich auszuziehen. Was ist mit der schwedischen natürlichen Nacktheit geschehen? Auf die war ich mal stolz.“

Dieser Leserbrief erschien in der Göteborger Ausgabe der Zeitung Metro vom 3.2.2009, S. 20. Meine Übersetzung.

Ingmar Bergman: „Sommer mit Monika“

Mehr zu „Sommer mit Monika“ und zu Ingmar Bergman gibt es auf der allumfassenden Website der Ingmar-Bergman-Stiftung. Die historische Nacktbade-Szene findet man dort leider nicht mehr. Ab und zu taucht sie kurz bei YouTube auf – dann wird sie vermutlich aus lizenzrechtlichen Gründen wieder entfernt.

So präsentierte sich Schweden in den Siebzigern

Hier ein Beispiel aus dem Jahr 1972, ein Bildband über Schweden aus einem schwedischen Verlag. Das Buch ist heute noch in Antiquariaten und manchmal auch über Ebay zu bekommen.

Bildband „So ist Schweden“

Im Buch steht neben einigen Bildern nackt badender Sommerurlauber: „Das Gerede über die schwedische Sünde ist stark übertrieben, doch ein bisschen unschuldige Nacktheit gehört wohl dennoch in ein Buch über Schweden.“

Bildband So ist Schweden

KW Gullers: „So ist Schweden“. Text: Torsten Ehrenmark. Fotos auf 92 Seiten (teils farbig, teils ganz- oder auch doppelseitig). Textteil auf getöntem Papier. Gullersproduktion AB/Almqvist & Wiksell, Stockholm, Schweden. 108 Seiten. Großformat 33,5 cm x 25 cm. Erscheinungsjahr 1972.

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